Alltägliches Geschehen und Lagerordnung
Pfahlhängen
Das Pfahlhängen gehörte zu den besonders sadistischen Strafen, zumal da die Häftlinge in ihrem wehrlosen Zustand den Schikanen der SS-Leute ausgesetzt waren. 1942 wurde das Pfahlhängen abgeschafft, weil der Häftling, an dem die Strafe vollzogen wurde, zu lange arbeitsunfähig war.
„Unter dem Balken waren Stricke heruntergelassen. Ich mußte einen Schemel besteigen und mir am Rücken an den Händen die Fessel anlegen lassen. Der Strick wurde hochgezogen, der Schemel weggestoßen und ruckartig hing ich etwa ein Meter über dem Boden in der Schwebe. Nur meinen Schmerzen überlassen, die Zähne zusammengebissen und dumpf stöhnend meinen Peiniger, den Oberscharführer, vor Augen. Ich empörte mich über das sadistische Treiben der SS, die auf die durchdringend schreienden wehrlosen Menschen einhieben oder, um ihre Qualen zu erhöhen, die Körper hin und her schaukelten. Je mehr Schmerzensgebrüll die Baracke durchhallte, je mehr höhnten und beschimpften sie ihre Opfer und weideten sich an den vom Schmerz entstellten Gesichtern. [...] Die Fußspitzen schienen dem Boden immer näher zu kommen. Da versprach mir der Oberscharführer, meine Lage zu erleichtern und mich den Boden berühren zu lassen, wenn ich ihm seine Fragen beantwortete. Qualvolle 11/2 Stunden mochten vergangen sein, als ich vom Lagerältesten von den Fesseln befreit wurde. [...] Meine Arme waren schlaff und hingen kraftlos an mir herunter, als gehörten sie mir nicht. Jegliches Gefühl war darin erstorben. [...] Tagelang noch hielt dieser Zustand an, und es dauerte Wochen, bevor ich die Arme wieder gebrauchen konnte. Anderen Kameraden waren die Arme ausgekugelt worden.“
Walter Heise, ehemaliger deutscher Häftling, war von Oktober 1940 bis November 1944 im KZ Neuengamme inhaftiert. Bericht, nicht datiert.
Der Alltag im Lager war von Drangsalierungen und Gewalt, von strenger Ordnung und Unterordnung bestimmt. Die Aufmerksamkeit der Häftlinge war vor allem darauf gerichtet, sich im dauernden Existenzkampf nicht aufzugeben. Jeder Tag und jede Stunde zählte neu. Bereits kleine Verstöße gegen Anordnungen von Aufsehern konnten schwer bestraft werden. Eine Vielzahl von Bestimmungen war zu beachten. Wenn z. B. ein Häftling einem SS-Mann begegnete, musste er sofort die Mütze abnehmen und strammstehen. Im Block war genau festgelegt, wie die Gegenstände im Schrank anzuordnen waren. Bei „Kleiderappellen“ wurde beanstandet, wenn ein Knopf an der Jacke fehlte, obwohl Ersatzknöpfe und Nähgarn kaum zu erhalten waren. Gewalt war das wichtigste Herrschafts- und Terrormittel der SS im Lager. Befehle wurden mit dem Schlagstock erteilt. Der offizielle Strafkatalog umfasste unter anderem Strafarbeit in der Freizeit, Postverbot, Paketsperre, Strafstehen am Tor, Essensentzug, Versetzung in die Strafkompanie, Arrest im „Bunker“, Prügelstrafe, Pfahlhängen (bis 1942) und Exekution (ab 1942). Außerdem konnte jeder SS-Aufseher nach Gutdünken strafen.
Die Strafkompanie
Die Strafkompanie hatte besonders schlechte Arbeits- und Lebensbedingungen. Etwa seit Mitte 1942 waren die Häftlinge dieses Arbeitskommandos auch getrennt von den anderen KZ-Häftlingen untergebracht.
„Da haben sie uns auch alles, was nur möglich war, angetan: Wir hatten Schreibverbot, wir durften keine Pakete empfangen, wir waren ein Extra-Block, wir hatten gar keinen Zugang zu den anderen. Wir waren abgesondert für uns in der Strafkompanie. Das ging morgens los. Morgens gab’s eine Tasse Kaffee, schwarzen Kaffee, mittags eine Kelle Suppe, wenn du Glück hattest; das heißt, du hast sie über den Schädel bekommen, wenn du nicht in der Reihe standest, und dann jedes Mal, wenn man am Kessel war, dann nahmen die Kapos oder die Chefs, die da waren, die nahmen die Kessel, wo noch unten was drin war, und die sind beiseite gestellt worden. Dann wurde wieder ein voller Topf genommen, dann wurde wieder oben so ein bisschen gelöffelt, dann bekamst du einen Löffel voll Wasser, Kappes-Wasser usw., und dann haben wir wieder gearbeitet bis abends. Das hat dann gedauert. – Die Lebensdauer war in der Strafkompanie, so haben sie gerechnet: Neun Wochen hält ein Häftling das aus, dann ist er nicht mehr da.“
Dominique Paulus, ehemaliger Häftling aus Luxemburg, war von Juni 1942 bis Juni 1944 im KZ Neuengamme inhaftiert. Interview, 29.1.1983.