Vergünstigungen und Prämien

Wichtige Funktionshäftlinge und Facharbeiter erhielten Vergünstigungen, sie durften z.B. ihr Haar wachsen lassen. Dadurch wurde ein zentrales Element der Lagerbeherrschung, die Rangordnung der Häftlinge, für alle wahrnehmbar. Außerdem führte die SS im Sommer 1943 ein Prämiensystem ein: Die Vergabe von „Prämienscheinen“ zum Einkauf in der Kantine, Tabakrationen und Zusatznahrung waren offiziell an die Erfüllung von Arbeitsnormen gebunden. Die höheren Überlebenschancen sollten ein Mittel des Arbeitszwanges sein. Im Lageralltag war die Vergabepraxis von Prämienscheinen und Zusatznahrung jedoch oft nicht leistungsbezogen, sondern willkürlich.

Die Prämienscheine spielten wegen des unzureichenden Nahrungsmittelangebots in der Kantine für die Versorgung der Häftlinge praktisch keine Rolle; begehrt waren vor allem die Zigaretten.

„Wenn man etwas von einem Kapo wollte – z. B. durfte man ja nicht ohne Erlaubnis zur Toilette gehen –, stellte man sich am besten, Mütze ab, stramm vor ihn hin und sagte in militärischem Tonfall: ‚Herr Kapo, Häftling so und so bittet, zur Toilette gehen zu dürfen!‘ [...] Man durfte niemals mit einem Kapo diskutieren, z. B. darüber, ob man gut gearbeitet hatte oder nicht. Dann wurde sofort geschlagen. Auch wenn man sah, dass ein Kollege schwer gearbeitet hatte und der Kapo schimpfte, er sei faul gewesen, durfte man kein Wort zugunsten des Kollegen sagen [...]. Der Kapo hatte immer Recht.“

Michał Piotrowski, ehemaliger polnischer Häftling, war von April 1941 bis Juni 1942 im KZ Neuengamme inhaftiert. Interview, 28.7.1984.


„Ich hatte insofern Glück, als ein Kapo, der mit mir zusammen auf dem Wohnblock lag, mir sagte: ‚Wie lange willst du das noch machen da?‘ [die Arbeit im Klinkerwerk] Daraufhin antwortete ich ihm: ‚Ich schätze, in 3–4 Wochen bin ich durchs Krematorium.‘ Da fragte er mich: ‚Das hast du eigentlich nicht nötig.‘ Ich fragte ihn: ‚Warum nicht?‘ Er sagte zu mir: ‚Du bist doch Geldbezieher?‘ ‚Ja, ich sage, warum, was soll das heißen?‘ Er sagte: ‚Ich bin ein starker Raucher.‘ Darauf erklärte ich ihm: ‚Gut, ich sage, darauf können wir uns einigen.‘ Er sagte mir dann: ‚Du kannst in mein Arbeitskommando kommen und brauchst nur mit den Augen zu arbeiten.‘ Das war auch ein Spezialausdruck in den Lagern, das heißt, [...] da brauchte man nur dann tatsächlich schwer [zu] arbeiten, wenn entweder der erste Klinkerkapo oder ein SS-Mann in die Nähe kam. Der eigene Kapo, der sonst auch prügelte und zur Arbeit antrieb, ließ diese Schutzbefohlenen, die ihn mit Geld versorgten, nicht schwer arbeiten.“

Albert Henry Kruse, ehemaliger deutscher Häftling, war von März 1942 bis Mai 1943 im KZ Neuengamme inhaftiert. Aussage, 15.4.1947, Fall IV (Alliierter Militärgerichtsprozess in Nürnberg gegen Oswald Pohl und andere), deutsches Protokoll.

 

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