Sowjetunion und baltische Länder

Häftlinge aus der Sowjetunion

Etwa 2,8 Millionen Menschen wurden 1942 bis 1944 systematisch aus den besetzten Gebieten der Sowjetunion zum Arbeitseinsatz nach Deutschland verschleppt, davon mehr als die Hälfte Frauen. Hinzu kamen sowjetische Kriegsgefangene. In den Arbeitslagern und Betrieben herrschten für die „Ostarbeiterinnen“ und „Ostarbeiter“ äußerst schlechte Lebens- und Arbeitsbedingungen. Die häufigsten Gründe für die KZ-Einweisung waren Verstöße gegen die strengen Arbeitsvorschriften sowie Fluchtversuche. Im KZ Neuengamme bildeten die mindestens 22 000 russischen und ukrainischen Häftlinge (davon ca. 2000 Frauen) die größte Gruppe. Da sie als „rassisch minderwertig“ galten, wurden sie besonders schlecht behandelt und kamen in großer Zahl um. Durch den starken Bedarf an Facharbeitskräften in der Rüstungsproduktion gelangten einige von ihnen schließlich in bessere Arbeitsstellen.

Foto der Gestapokarteikarte von Nikolai Dergatsch

 

Gestapokarteikarte von Nikolai Dergatsch. „Arbeitsvertragsbruch“ war ein Sammelbegriff für Verstöße gegen Arbeitsvorschriften oder gegen die Lagerordnung in den Zwangsarbeitslagern, nach heutigen Vorstellungen meist Bagatellen. Nikolai Dergatsch, inhaftiert im KZ Neuengamme seit August 1942, starb am 16. November 1942 bei der II. SS-Baubrigade in Bremen. (ANg)

Das „Kriegsgefangenen-Arbeitslager“

Am 22. Juni 1941 überfiel die deutsche Wehrmacht die Sowjetunion. Bis zum Jahresende gerieten ca. drei Millionen sowjetische Soldaten in deutsche Kriegsgefangenschaft. In den Kriegsgefangenenlagern wurden Juden und kommunistische Funktionäre ausgesondert und ermordet. Im Winter 1941/42 starben rund zwei Millionen sowjetische Kriegsgefangene an Hunger, Kälte, Krankheiten und unmenschlicher Behandlung.

Im Oktober 1941 lieferte die Wehrmacht 10 000 sowjetische Kriegsgefangene an die SS aus. Aus dem Stammlager XD Wietzendorf kamen 1000 von ihnen ins KZ Neuengamme, wo sie in einem als „Kriegsgefangenen-Arbeitslager“ abgeteilten Lagerbereich zusammengepfercht wurden. Innerhalb von acht Monaten starben 652 von ihnen. Die Überlebenden wurden im Juni 1942 ins KZ Sachsenhausen verlegt; ihr weiteres Schicksal ist unbekannt.

„Dieser gespenstig anmutende Zug von überwiegend jungen, aber durch die Entbehrungen greisenhaft wirkenden Menschen im Alter von etwa 20 bis 30 Jahren durchschritt das Lagertor des Konzentrationslagers, überquerte den Appellplatz und zog in das eigens für sie vorbereitete ‚Isolierlager‘, das hohnvoll die Bezeichnung ‚Kriegsgefangenen-Arbeitslager‘ trug.“

Günther Wackernagel, ehemaliger deutscher Häftling, war von September 1940 bis November 1944 im KZ Neuengamme (u. a. im Außenlager Hannover-Stöcken) inhaftiert. Bericht, nicht datiert.

Häftlinge aus den baltischen Ländern

Nach der Besetzung des Baltikums im Sommer 1941 wurde aus Estland, Lettland, Litauen und Weißrussland das „Reichskommissariat Ostland“ gebildet. SS-Kommandos ermordeten schon 1941 den größten Teil der jüdischen Bevölkerung. Die Überlebenden wurden in Gettos und Zwangsarbeitslager deportiert. Für politische Gegner*innen und andere Verfolgte errichtete die Sicherheitspolizei „Arbeits- und Erziehungslager“. Aus dem Baltikum waren ca. 3800 Menschen im KZ Neuengamme inhaftiert, davon ca. 3300 aus Lettland. Die meisten von ihnen kamen zwischen Juli und Oktober 1944 in drei Transporten aus dem „Arbeits- und Erziehungslager“ Salaspils bei Riga. Der Anteil der Frauen wird auf einige hundert geschätzt, darunter auch Jüdinnen. Ein großer Teil von ihnen kam 1944 über das KZ Stutthof in die Außenlager Hamburg-Langenhorn und Hannover-Langenhagen.

Bleistiftzeichnung von Félix Lazare Bertrand. Abgebildet sind Personen unterschiedlicher Körpergröße vor einer Baracke. Manche von ihnen sind Kinder.

 

 

 

 

Bleistiftzeichnung von Félix Lazare Bertrand „Neuengamme. L’infirmerie. Les petits Lettons. 6-8-44.“ („Neuengamme. Krankenrevier. Die kleinen Letten. 6.8.44.“), 1944 (ANg). Die „kleinen Letten“ waren zwischen 12 und 15 Jahren alt. Mit viel zu großer Zivilkleidung und Latschen, teilweise barfuß, wurden sie zum Schneeräumen, Fegen und Lastenschleppen eingesetzt.

Biografie: Boris Musikantik
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