Lagerhierarchie und Funktionshäftlinge

Lagerhierarchie

Die SS teilte die Häftlinge nach ihrer rassenideologischen Werteskala ein. Angehörige der als „rassisch minderwertig“ eingestuften Häftlingsgruppen standen in der Lagerhierarchie weit unten. Sie mussten deshalb noch mehr Entbehrungen erdulden als ihre Mitgefangenen. Sprachkenntnisse konnten zum Aufstieg in der Rangordnung beitragen. Meist wurden nur deutschsprachige Häftlinge von der SS mit Aufgaben in der Verwaltung und der Arbeitsorganisation betraut. Wer einen Beruf ausübte, der für die SS von Nutzen war, wurde in der Regel weniger brutal behandelt. Häftlinge, denen Funktionen übertragen worden waren, wurden besser ernährt, gekleidet und untergebracht. Die Häftlingsnummer konnte ebenfalls Bedeutung erlangen; denn Häftlinge mit niedriger Nummer galten wegen ihrer langen Lagerzugehörigkeit als erfahrene Konzentrationäre, denen sich andere unterzuordnen hatten.

Funktionshäftlinge

Auch viele Funktionshäftlinge setzten ihre Anordnungen mit Schlägen durch, um ihre Position gegenüber der SS zu behaupten. Während einfache Häftlinge jeden Tag um ihr Überleben kämpfen mussten, konnten sich wichtige Funktionshäftlinge gute Verpflegung, saubere Kleidung und manchmal sogar persönliche Bedienstete leisten. Einige nutzten ihre Machtstellung dazu aus, Lebensmittel aus Paketen von Mithäftlingen oder sexuelle Kontakte zu erpressen.

„Am Anfang wurden im Lager sowie auf den Außenkommandos fast nur Kriminelle in Funktionen eingesetzt. Diese traten, wenn auch nicht alle [...], von der SS angetrieben, gegenüber den Häftlingen brutal und unmenschlich auf. Zu ihrer Ehre sei aber auch gesagt, dass es unter ihnen auch Gute und Vernünftige gab. Mit der Zeit jedoch wurden diese so wichtigen Funktionen wie Blockälteste, Kapos immer mehr mit politischen Häftlingen besetzt. Dadurch änderte sich vieles, wenn auch nicht alles. Es passierten nicht mehr so viele Übergriffe und es wurde von dieser Seite aus gesehen erträglicher und menschlicher.“

 

Die Abbildung zeigt die Lagerhierachie in Form einer Pyramide. Oben an der Spitze standen die leitenden Funktionshäftlinge, gefolgt von Häftlingen in wichtigen Stellungen in den Wirtschafts- und Versorgungseinrichtungen sowie denjenigen, die in geschlossenen Räumen arbeiteten. Ganz unten in der sozialen Ordnung des KZ standen die Häftlinge, die bei Wind und Wetter schwere Arbeit im Freien verrichten mussten. Je weiter ein Häftling in der Lagerhierarchie aufstieg, desto besser standen seine Chancen zu überleben.

Walter Christensen, ehemaliger deutscher Häftling, war von Ende Juli 1941 bis November 1944 im KZ Neuengamme inhaftiert. Bericht „Der Lebenslauf eines Hamburger Arbeiterjungen“, 1980/81.

„Im Lager Neuengamme war es zu Anfang so: Der Lagerälteste war politisch – der Köbes, aber der erste Arbeitsdienstkapo war Grüner – Dingeldein. So war es im ganzen Lager. So gab es immer Streit. [...] Es war manchmal wie im Mittelalter, wie z.B. in Italien: Rivalisierende Gangs kämpften um Einfluss.“

Mieczysław Krause, ehemaliger polnischer Häftling, war von Dezember 1940 bis Mai 1945 im KZ Neuengamme inhaftiert. Interview, 25.7.1984.

„Die politischen Gefangenen, denen eine höhere Funktion –meist nach Jahren langer, schwerer Arbeit – gegeben war, hatten zwei gefährliche Gegner: Die SS, deren Befehlen sie ‚blind‘ gehorchen sollten, und die Grünen, die anfangs fast alle Kapostellen innegehabt hatten. Sie versuchten, sie um jeden Preis wiederzuerhalten, und jedes Mittel war ihnen dazu recht. So gab es im Lager, in all dieser Primitivität, Probleme, die besonders für die Deutschen schwierig und kaum zu lösen waren.“

Heinrich Christian Meier, ehemaliger deutscher Häftling, war von Juni 1941 bis November 1944 im KZ Neuengamme inhaftiert. Bericht „André Mandrycxs“, nicht datiert.



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